Wie wir aus der Not eine Tugend machen können

Corona – und sonst so? Eigentlich nicht mehr viel, werden wohl die Meisten darauf antworten. Nach 12 Monaten der Aufs und Abs mag die eine Licht am Horizont sehen, der andere sich ausgerechnet haben, dass er seinen Impftermin voraussichtlich erst im Januar 2022 wahrnehmen kann. Homeoffice und Distanzunterricht sind für viele eine auf Dauer schwierig zu meisternde Aufgabe. Schüler:innen vermissen ihre Hobbys, Sport und Freunde. In einer Umfrage unter Schüler:innen, in der sie sagen sollten, wie es ihnen ergeht, haben im Januar 77% der befragten Schüler:innen negative Antworten (gestresst, überfordert etc.) gegeben, nur 13,5% beschrieben ihre Situation positiv (Quelle: Hessenschau). Der Corona-Blues lässt grüßen.

Nicht nur den Schüler:innen fällt es schwer, sich in dieser schwierigen Situation dauerhaft zu motivieren. Neben (vielen) anderen Faktoren scheint die Motivation am ehesten/auch stark von der Beziehung zu den Mitschüler:innen abhängig zu sein (Quelle: Cornelsen). Der Einfluss der Lehrer:innen dagegen ist eher gering (es liegt also eher selten „an der Lehrperson“). In einer Zeit, in der sich die Schüler:innen also nur digital (bedingt) gegenseitig motivieren können, stellt sich die Frage, wie man sie dabei unterstützen kann, den Corona-Distanzlernen-Blues zu überwinden.

Was wirklich motiviert

Daniel H. Pink schreibt in seinem Buch Drive: was Sie wirklich motiviert (2009) darüber, was uns als Menschen motiviert. So erklärt er zum Beispiel, dass unsere ursprüngliche Motivation, Dinge zu tun oder zu lassen, darauf zurückgeht, unser Überleben zu sichern. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich so etwas wie eine Motivation 2.0. In diesem Schema geht es um Anreize, um Wenn-Dann-Situationen. Ein einfaches Beispiel hierfür stellt der Großvater dar, der den Enkeln für eine 2 im Zeugnis 5 Euro und für eine 1 10 Euro in Aussicht stellt. Im Umkehrschluss bedeutet das: wenn man fleißig ist und gute Noten bekommt, dann erhält man eine Belohnung. Diese Art der Motivation findet sich überall in unserem Alltag und ist einleuchtend, richtig?

Leider ist es nicht ganz so einfach und hat, wenn überhaupt, nur einen kurzen Effekt. Die Wissenschaft kann seit Langem belegen, dass solche Anreize eher verpuffen oder sogar kontraproduktiv sein können (Für eine Zusammenfassung von Pinks Gedanken siehe hier). Diese Art der Motivation führt besonders in Situationen, in denen Kreativität gefragt ist (bspw. Karl Dunckers „Kerzenproblem“), zu signifikant schlechteren Ergebnissen, als wenn keine Belohnung in Aussicht gestellt würde. Zu besseren Ergebnissen kommen nach Pink diejenigen, die intrinsisch motiviert sind. Für diese Motivation 3.0 nennt er drei Grundvoraussetzungen, für die ein passendes Umfeld geschaffen werden müssen: Selbstbestimmung (Autonomy), Können/Perfektion (Mastery) und Zweck/Sinnerfüllung (Purpose).

• Autonomy: Menschen müssen autonom entscheiden können, was sie tun, wann sie etwas tun, mit wem und auf welche Art und Weise. Menschen brauchen Handlungsspielräume, die sie eigenständig gestalten können, um sich zu entfalten.

• Mastery: Arbeiten bzw. Lernen im „Flow“, bei Aufgaben die weder zu leicht noch zu schwer sind, wachsen wir über uns hinaus. Menschen empfinden Freude und fühlen sich bestätigt, wenn Sie das, was sie machen, beherrschen und gut können.

• Purpose: Ohne den Sinn und Zweck des eigenen Tuns begreifen zu können und ohne das große Ganze zu sehen, lässt sich auch schwer Motivation dafür aufbringen. Menschen möchten in ihrem täglichen Handeln Bedeutungen verwirklicht sehen, die über bloßen Eigennutz und Aufgabenerfüllung hinausgehen und damit zu einem „Großen Ganzen“ beitragen.

Dabei kommen uns diese Aspekte doch ganz bekannt vor, oder? Wer wurde noch nie von einem/r Schüler:in gefragt, wozu sie denn bitteschön den Satz des Pythagoras, Gedichtinterpretationen oder das Future Perfect brauche? Während diese Elemente im Präsenzunterricht vielleicht in einen strafferen Rahmen gezwängt werden, bietet sich beim Lernen auf Distanz eine Chance, die Schüler:innen ganz neu zu motivieren. Durch vermehrt asynchronen Unterricht ist selbstständiges Lernen wichtiger geworden (= Autonomy). Schüler:innen lernen, flexibler zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Neue Methoden, wie Peer-Feedback werden nötig, um zu Hause besser lernen zu können und den Anforderungen gerecht zu werden (= Mastery). Fächerverbindende Projektarbeit anstatt kleinteiliger Arbeitsblätter helfen, Zusammenhänge zu verstehen (= Purpose).

Die Mischung machts

Trotz vieler Herausforderungen, wie beispielsweise einer mangelnden Ausstattung, einem schlechten Lernumfeld oder fehlender Kompetenzen der Schüler:innen, können wir das Beste aus der Situation machen. So hat sich gezeigt, dass ein guter Methodenmix die Schüler:innen auch zu Hause motivieren kann (Quelle: Cornelsen): Ob Lehrvortrag mit Lernvideos, kreatives und selbstständiges Arbeiten mit Programmen und Tools oder das digitale Erstellen eines Projekts/Referats. Hilfreiche Tipps hierzu finden Sie weiter unten in den Links.

Pink hat übrigens auch eine Hilfe für Ihre nächste Hausaufgabenerstellung genannt. Hierbei könnten Sie sich beim nächsten Mal folgende Fragen stellen:

• Biete ich den Schüler:innen Autonomie darüber an, wie und wann diese Aufgabe zu erledigen ist?

• Fördert diese Aufgabe das Können, indem sie einen neuartigen, motivierenden Aspekt liefert (im Gegensatz zur Neuformulierung von etwas, das bereits im Unterricht behandelt wird)?

• Verstehen meine Schüler:innen den Zweck dieser Aufgabe?Das heißt, können sie sehen, wie diese zusätzliche Aufgabe zum großen Ganzen beiträgt?

Wenn Sie nicht jede dieser Fragen bejahen können, empfiehlt es sich vielleicht, die eigenen Methoden nochmal zu überdenken. Damit aus „Homework“ „Homelearning“ wird.

Ein besonders wichtiger Gedanke sollte hier jedoch nicht untergehen: bringen Sie Empathie auf. Sie wissen selbst am besten, in welcher Situation sich Ihre Schüler:innen befinden und welche Bedürfnisse sie haben. Nicht umsonst ist es so wichtig, dass sie sich mit Freunden umgeben und daraus Motivation für den Unterricht ziehen. Während Selbstständigkeit und Medienkompetenz steigen, ist es die Sozialkompetenz, die wir gemeinsam stärken müssen.

 

Empfohlene weiterführende Links:

• Pink kurz erklärt (englisch): https://www.youtube.com/watch?v=u6XAPnuFjJc https://www.youtube.com/watch?v=rrkrvAUbU9Y

• Das richtige Maß beim Distanzunterricht: https://www.schulministerium.nrw.de/themen/recht/schulgesundheitsrecht/infektionsschutz/impulse-fuer-das-lernen-auf-distanz

• Beliebte Lernvideos/Channels: https://www1.wdr.de/wissen/mensch/youtube-tutorials-uebersicht-100.html

 

 

Demotiviert im Distanzunterricht?